Jedes Jahr wird viel Geld für die Neuausstattung im Bereich Rettungsscheren und Rettungsspreizer ausgegeben. Falsch angewendet verpufft aber diese Investition im Nichts, denn ohne das nötige Hintergrundwissen ist die Schneid- oder Spreizkraft nur ein Bruchteil von dem, was man erreichen kann.
Vor einigen Jahren habe ich mir für den Urlaub ein paar Rote Hefte mitgenommen, darunter war auch das Buch “Patientenorientierte technische Rettung” von Falko Sokolowski. Eine Abbildung darin, habe ich immer noch im Kopf und zwar ging es um ein sogenanntes Kräftediagramm. Wenn man Spreizer und Schere einsetzt, hängt die Kraft der Geräte davon ab, wie weit sie geöffnet sind und wo sie angesetzt werden. Das war mir bisher grob auch so bekannt, aber erst das Kräftediagramm aus dem Buch hat mir wirklich bewusst gemacht um wieviel Power es da geht. Wir reden hier nicht nur von ein paar Prozentpunkten mehr, sondern es geht um ein Vielfaches. Krass ausgedrückt: Wenn man mit den hydraulischen Werkzeugen nicht richtig arbeitet, wirft man viel Geld zum Fenster hinaus. Dann tuts nämlich auch die ausgemusterte Rettungsschere vom alten LF 8. Mit der bringe ich dann nämlich genau so viel hin, wie mit dem neuen super duper Schneidgerät für viele tausend Euro.
Um zu verstehen, in welchem Zustand, dass hydraulische Rettungsgerät am meisten Kraft entwickelt hilft ein Blick auf das Kräftediagramm. Das gibts entweder beim Hersteller online auf der Website oder aber es ist in der Gebrauchsanweisung enthalten. Am Beispiel von Weber möchte ich mit Euch mal so ein Kräftediagramm genauer anschauen, damit Ihr das maximale aus Euren hydraulischen Rettungsgeräten rausholen könnt. Noch ein Hinweis: Die Diagramme unterscheiden sich von Gerät zur Gerät, daher unbedingt ein Blick das Kräftediagramm von Euren eigenen Rettungssätzen schauen.
Rettungsspreizer: Falsch angesetzt nur 30 % der Kraft
Hier mal eine Skizze vom Rettungsspreizer SP 60:
In der Grafik oben seht Ihr beispielhaft drei Ansatzpunkte (F1, F2 und F5) wo man mit dem Rettungsspreizer arbeiten kann. Ergänzend dazu gibt es das folgende Kräftediagramm :
Das Diagramm stellt unten in Millimeter den zurückgelegten Spreizweg dar (x-Achse) und auf der Achse nach oben wird in Kilonewton die Kraft abgebildet (y-Achse). Als Richtwert kann man bei den Kilonewton einfach die letzte Stelle weglassen, dann hat man die Kraft in Tonnen. 140 kN sind also knapp 14 Tonnen.
Was sagt dieses Kräftediagramm nun für die Arbeit mit dem Rettungsspreizer aus? Um so größer der Spreizweg (also um so weiter der Spreizer geöffnet ist) um so mehr Power hat er. Das Aggregat hat sozusagen zwei “Gänge”. Im Hasengang ist es schnell hat aber weniger Kraft, kommt es an den Punkt wo die Kraft nicht mehr reicht, schaltet es in den Schildkrötengang um. Es dauert dann einige Sekunden (bis zu 10 Sekunden) bis der Druck aufgebaut ist und dann geht es weiter. Man sieht recht häufig, das Feuerwehrler beim ersten mal Stocken des Gerätes sofort abbrechen und neu ansetzen. Hier sollte man aber einige Sekunden warten und man wird merken, dass es mit mehr Kraft weiter geht.
Das zweite was man im Diagramm erkennen kann, ist wie massiv sich die unterschiedlichen Ansatzpunkte auf die Kraft des Spreizers auswirken. Bei 30 Zentimeter Öffnung habe ich am Punkt F1 7,8 Tonnen Spreizkraft, beim Ansatzpunkt F2 schon 12,8 Tonnen und beim Ansatzpunkt F3 sind es ganze 26 Tonnen. Setze ich also meinen Spreizer falsch an, habe ich nur 1/3 der Kraft die ich einsetzen könnte. Daher unbedingt drauf achten, dass ich so weit wie möglich von der Spreizerspitze weg arbeite.
Rettungsschere: Fast 4x mehr Power, wenn man weiß wie
In diesem Beispiel schauen wir uns die Weber Rettungsschere S270 – 71 genauer an:
Oben sind wieder zwei Ansatzpunkte (F1 und F2) eingezeichnet und unten das dazugehörige Kräftediagramm:
Zur Erklärung noch kurz ein Wort zum Schließweg, da der mich am Anfang etwas verwirrt hat. Schließweg ist der Weg, von der voll ausgefahrenen Rettungsschere bis zu dem Punkt wo sie geschlossen ist. Ist der Schließweg also 4 Zentimeter, dann war die Rettungsschere ganz auf, und wurde um 4 Zentimeter geschlossen.
Schaut man auf das Kräftediagramm bedeutet das: Je geringer die Schere geöffnet ist (und somit je größer der zurückgelegte Schließweg) desto mehr Kraft hat die Rettungsschere. Zu dem ist es wichtig, dass das Schneidobjekt, möglichst nahe am Gelenk der Schere ist. Bei einer Öffnung von 50 Zentimeter habe ich beim Ansatzpunkt F2 nur 18 Tonnen Kraft, gehe ich nur ein paar Zentimeter näher ans Gelenk zum Punkt F1, komme ich auf volle 65 Tonnen. Das ist mehr als das 3,6 Fache der Kraft. Habe ich also eine neue Rettungsschere, weiß aber nicht wie ich sie richtig ansetzen soll, bringt mir die neue und teure Technik leider auch hier überhaupt nichts.
Die zuvor genannten Punkte sind auch wichtig um das Schneidgut unter Umständen vorzubereiten. So kann es Sinn machen, den Holm zuerst mit dem Spreizer zu quetschen um dadurch den Querschnitt zu verringern und somit auch die Öffnungsweite der Rettungsschere zu reduzieren. Eine andere Möglichkeit ist es die Verkleidungsteile zu entfernen um den Drehpunkt der Schere möglichst nahe an die harten Materialien zu bringen.
Hand aufs Herz. Wer von Euch hat schon mal das Kräftediagramm seiner hydraulischen Rettungsgeräte angeschaut und hat gewusst, dass ein paar Zentimeter sich so massiv auf die Kraft der hydraulischen Rettungsgeräte auswirken? Gibt es von Eurer Seite sonst noch weiter Tipps die man anwenden kann um den Kräfteeinsatz zu optimieren?
Danke auch an Patrick von technische-hilfeleistung.info der mir den einen oder anderen Knoten im Kopf gelöst hat.
Ergänzung zum Ansatzpunkt beim Rettungsspreizer
Da die Frage aufgekommen ist hier noch eine kurze Erkärung zum Ansatzpunkt F5. Wie zuvor geschrieben, bitte unbedingt die Bedienungsanleitung Eurer Rettugnsgeräte ansehen und schauen wo mögliche Ansatzpunkte sind. Diese unterscheiden sich je nach Modell und Hersteller. Das von mir vorgestellte Modell von Weber, hat an den Armen des Rettungsspreizer extra einen Bereich wo man ansetzen kann. Auf dem nachfolgenden Bild ist der gut zu erkennen. Das heißt nicht pauschal, dass man hier alle Spreizer ansetzen kann.