Im Dezember 2005 kamen bei einem Gebäudebrand in Tübingen zwei Feuerwehrleute im Innangriff ums Leben. Jetzt ist der umfangreiche Unfallbericht veröffentlicht worden mit wichtigen Erkenntnissen zum Einsatz- und Unfallablauf. Diese Analyse ist absolute Pflichtlektüre für Führungskräfte und Atemschutzgeräteträger um aus Fehlern zu lernen und Verbesserungspotential zu erkennen.
Der komplette Unfallbericht kann als PDF-Dokument auf der Seite der Landesfeuerwehrschule Baden-Württemberg hier herunter geladen werden. Ich möchte nun einige Punkte aufgreifen die meines Erachtens sehr wichtig sind und die bei zukünftigen Atemschutzeinsätzen im Hinterkopf sein sollten.
Einführung
Bei einem Gebäudebrand (Grundfläche 159 m²) drang ein Angriffstrupp der Feuerwehr Tübingen bis ins Dachgeschoss (2. OG) vor. Zu diesem Zeitpunkt schien der Einsatz übersichtlich zu sein. Aufgrund einer plötzlichen Lageänderung war durch Brandausbreitung ein Rückzug über das 1. OG nicht mehr möglich. Der Luftvorrat ging zu Ende, zudem verhinderte ein Schlauchplatzer dass der Atemschutztrupp sich diesen Weg selbst freikämpfen konnte. Beide Feuerwehrmänner konnten nur noch leblos von ihren Kameraden gerettet werden und starben letztendlich an einer Kohlenmonoxidvergiftung.
1. Plötzliche Lageänderung
Bis zur Notfallsituation schien es, v.a. auch für den verunglückten Trupp (im Unfallbericht Trupp C), ein absoluter Standardseinsatz zu sein. Er wurde als dritter Trupp im vermeintlich ungefährlichen und nahezu rauchfreien Bereich eingesetzt. Auch schien der Einsatz bereits unter Kontrolle. Eine Situation die jeder Atemschutzgeräteträger (AGT) wohl schon erlebt hat, nämlich das Absuchen von Gebäudeteilen die vom Brand nicht betroffen sind. Man überlegt im Kopf schon wann man wieder im Bett ist und wie der morgige Arbeitstags mit 1-2 Stunden weniger Schlaf wohl sein wird. Die Anspannung dürfte gegen Null tendieren da weder von Löscharbeiten noch von einer Personenrettung ausgegangen werden kann. Die Rückzündung im 1. OG und der Durchbrand in den zuvor sicheren Treppenraum zeigen aber, wie sich die Lage dramatisch ändern kann.
- Selbst langweilige Routineeinsätze sollten mit der notwendigen Sorgfalt durchgeführt werden
- Wenn möglich muss ein alternativer Rückzugsweg vorhanden sein (s. Anleiterbereitschaft, Punkt 3)
- Atemschutztrupps müssen immer vollständig ausgerüstet sein. Oftmals sieht man bei Einsatzkräften das Vorgehen ohne Schlauch, oder fehlender Persönlicher Schutzausrüstung (Flammschutzhaube, Überjacke) da die Lage unter Kontrolle ist und die Tätigkeit in “sicheren” Gebäudeteilen erfolgt.
2. Atemschutzträger Notfalltraining
Notfälle im AGT Einsatz sind absolute Extremsituation, auch für die Rettungstrupps. Neben der psychischen Belastung kommt eine enorme körperliche Belastung hinzu. Daher sollte hierauf bei der Ausbildung sehr viel Wert gelegt werden. Bei der Freiwilligen Feuerwehr München wird auf diese Thematik im Atemschutzlehrgang besonders eingegangen. Bei fast jedem praktischen Durchgang musste ein verunglückter Kamerad gerettet werden. Allen Teilnehmern war bewusst, dass dies Nahe an der Leistungsgrenze geschieht. Wir konnten dadurch unsere Grenzen erfahren und haben den notwendigen Respekt erlangt. Bei vielen Feuerwehren wird das Notfalltraining aber noch vernachlässigt bzw. der Aufwand bei einer AGT-Rettung unterschätzt. Einige Aussagen im Unfallbericht zeigen aber die auftretenden Probleme.
- Für die Rettung der verunglückten AGT waren vier Trupps im Einsatz.
- Allein mit der Evakuierung eines Kameraden sind zwei Trupps beschäftigt gewesen.
- Zwischen der Notfallmeldung und der Rettung der Feuerwehrleute an die Eingangstür vergingen 35 bzw. 51 Minuten.
Trotz eines großen Kräfteeinsatzes ist die Rettung verunglückter Geräteträger sehr zeitintensiv. Es muss daher klar sein, dass der obligatorische Rettungstrupp (2 Mann) die absolute Untergrenze ist und i.d.R. nicht ausreicht. Auch muss der Standardablauf ständig geübt werden um auch in Stresssituationen sicher zu handeln.
3. Anleiterbereitschaft
Um in Not geratenen Atemschutzträgern einen schnellen Fluchtweg zu garantieren sollte eine Drehleiter in so genannter “Anleiterbereitschaft” in Stellung gehen wie es Ulrich Cimolino in seinem Buch “Atemschutz” beschreibt. Dabei steht die DLK ausgefahren vor dem Einsatzobjekt um Notfalls über ein Fenster dem Ausstieg aus dem Gebäude zu ermöglichen. Zwar wird dies nicht als Lösung im Unfallbericht angesehen, da der Aufenthaltsort der verunglückten Kräfte nicht bekannt war, aber bei einem weiteren Beinahe-Unfall während dieses Einsatzes war die Drehleiter eine entscheidende Hilfe. Ein Kamerad dem aufgrund der Stresssituation die Luft im Dachgeschoss ausging konnte über die DLK im letzten Moment gerettet werden. Daher sollte grundsätzlich ein Hubrettungsgerät einsatzbereit in Stellung gebracht werden.
4. Reservekräfte
Der Einsatz zeigt wie personalintensiv sich die Rettung der AGT gestaltet und wie wichtig ausreichende Personalreserven an der Einsatzstelle sind. Andererseits sollten Einsatzleiter bei der derzeitigen Arbeitsmarktlage nicht unnötig Kräfte binden. Mit einer Löschgruppe in der Hinterhand sind aber wohl kurzfristig genügend zusätzliche Kräfte für plötzliche Lageänderungen und Notfälle vorhanden. Aber auch Einsatzkräfte sollten Verständnis zeigen wenn sie an der Einsatzstelle nur auf Bereitschaft sind und scheinbar keine Aufgaben haben.
5. CAFS im Innenangriff
Ein in Feuerwehrkreisen kontrovers diskutiertes Thema ist der Einsatz von Druckluftschaum (CAFS). Hierbei wird über eine zusätzliche Zumischanlage ein Wasser-Schaum-Gemisch direkt im Fahrzeug erzeugt und in die Schlauchleitung abgeben. Da in Tübingen bei diesem Unfall CAFS im Einsatz war, wurde auch dieses Thema näher beleuchtet. Die Erkenntnisse sind hierbei:
- Schläuche mit Druckluftschaum reagieren auf Wärmeinwirkung empfindlicher als wassergefüllte Schläuche (S. 49)
- Druckluftschaum dringt weniger ins Brandgut ein und hat eine geringere Kühlwirkung (S. 41)
Vor allem der Schlauchplatzer aufgrund der Temperatureinwirkung sollte näher Untersucht werden um Handlungsempfehlungen auszusprechen die die CAFS Technik betreffen.
6. Rückmeldung des Standorts
Ein großes Problem des Einsatzes war der Standort des verunfallten Trupp. Den Führungskräften war aufgrund von fehlenden Lagemeldungen nicht bekannt, dass sich der Angriffstrupp im Dachgeschoss befindet. Daher ist zu beachten:
- Der zuständige Gruppenführer muss wissen wo sich seine Trupps befinden. Dies bedeutet aber auch, dass der Trupp entsprechende Rückmeldungen geben muss.
- Atemschutzgeräteträger müssen einen eindeutig zuordbaren Gruppenführer haben, möglichst der des eigene Fahrzeugs. Werden Einsatzkräfte “übergeben” muss sich der neue Gruppenführer der Verantwortung bewusst sein. Oftmals werden AGT Trupps von der Einsatzstelle in den Einsatz geschickt ohne eine direkte Führungskraft zu haben
- Nichtbeachtung der Hierarchien. Wenn ein Einsatzleiter direkt auf Trupps zugreift “geht doch mal zur Belüftung ins 3. OG” werden wichtige Hierarchiebenen übersprungen. Wer ist nun für den Trupp zuständig? Wer trägt die Verantwortung? Kommunikation sollte i.d.R. immer nur an die nächst höhere bzw. nächst niedrigere Instanz erfolgen (Truppführer <-> Gruppenführer <-> Zugführer/Einsatzabschnittsleiter <-> Einsatzleiter)
7. Restluft
Schon bei einem Restdruck von 200 bar (von ursprünglich 300 bar) wurde ein Trupp zu Ablösung des Trupp C ins Gebäude geschickt. Trotz dieser Sicherheitsreserve kam es zu dem tödlichen Unfall da aufgrund der Brandausbreitung der Ersatztrupp ohne eigenes Strahlrohr nicht zügig vorgehen konnte. Der später verunglückte Trupp C ist vermutlich erst zurückgegangen als das Rückzugssignal bei ca. 60 bar ertönte. Aufgrund der neuen vorgefunden Lage reichte dieser Luftvorrat aber nicht mehr für eine Rettung aus.
- 60 bar sind für einen sichere Rückzugswegs zu wenig, daher sollte man die Regel 1/3 der Luft für den Angriff, 2/3 der Luft für den Rückzug einhalten. Siehe hierzu auch die Feuerwehr-Dienstvorschrift “Atemschutz” (FwDV 7)
- Selbst bei übersichtlichen Lagen muss dieser Vorsatz angewendet werden.
Mich selbst hat der Unfallbericht sehr nachdenklich gestimmt und noch viel wichtiger zum Denken angeregt. Ich habe mich selbst ertappt wie ich Dinge in der Vergangenheit unterschätzte oder vernachlässigte. Weitere Verbesserungspunkte findet man im Unfallbericht ab Seite 44.
Trotz der Tragik dieses Einsatzes ist eine lückenlose Aufklärung wichtig. Dank des umfangreichen Berichts werden sich hoffentlich viele damit auseinander setzte um aus Fehlern zu lernen und den Einsatzdienst wieder ein Stückchen sicherer zu machen.