Obwohl die Anzahl der Verkehrstoten seit vielen Jahren sinkt, steigt bei Verkehrsunfällen die Herausforderungen für die Einsatzkräfte. Jan Südmersen über die Tendenzen bei Unfällen und was das für uns als Feuerwehr an der Einsatzstelle bedeutet.
Zwei Tendenzen scheint es in dem Bereich zu geben
Es gibt zwar immer mehr Fahrzeuge und immer mehr Unfälle, aber immer weniger Personen werden nach Unfällen tatsächlich physisch im Fahrzeug eingeklemmt. So ist die Todesrate bei Verkehrsunfällen mit PKW seit 1970 um 80% gefallen – und ähnliches dürfte für eingeklemmte Patienten gelten.
Zum anderen steigen immer mehr Personen, die früher schwere Verletzungen erlitten hätten aus ihren PKW nach einem Unfall aus und schütteln sich nur einmal. Das liegt sicher an der Sicherheitstechnik von modernen PKW, aber da der Mensch des gleiche Baumuster geblieben ist, können heute Patienten sich in nur moderat beschädigten Fahrzeugen befinden und nicht ansatzweise physisch eingeklemmt, aber trotzdem schwer verletzt sein: der eingeschlossene Patient. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass mit ziemlicher Sicherheit ein Patient, der in einem modernen PKW eingeklemmt ist schwerwiegende lebensbedrohliche Verletzungen erlitten hat – und somit zeitkritisch ist.
Das ist aber nicht nur ein medizinisches Problem, sondern auch ein taktisch-technisches. Haben wir vor kurzem noch patientenorientiert mit patientenschonend gleichgesetzt, müssen wir heute feststellen, dass patientenorientiert in den meisten Fällen auch schnell sein muss – und in wenigen Fällen auch schon mal grob sein muss. Üben wir das auch? Oder haben unsere Ausbildungsveranstaltungen eher einen Workshopcharakter mit geregelten Pausen und Gruppendiskussion?
Was man besser machen muss
Wir haben eine Stunde vom Anruf bis zur Übergabe des Patienten in den – hoffentlich vorbereiteten – Traumaraum. Zwar können wir Entdeckungszeiten und Fahrtzeiten kaum beeinflussen (das Delta-T zwischen HLF 10/10 und super-duper VRW ist meistens beschämend klein), aber wir können vor Ort viel Zeit sparen, wenn:
Allen bewusst ist, dass wir nur 20 Minuten haben, bis der Patient aus dem PKW sein sollte. Das bedeutet ein zügiges, aber nicht überhastetes Arbeiten von Anfang an, gutes Teamwork, eine stringente Aufgabenverteilung in Geräteführer und Unterstützer, eine Einsatzplanung mit Plan A / B sowie einem Notfallplan und Rettungstechniken, die nicht nur dem Patientenstatus sondern auch der Fahrzeugkonstruktion angepasst sind. Ein Standardmodell ist heutzutage gefährlicher Unfug.
Diejenigen, die technische Rettung leiten auch wirklich ausreichend Fachwissen haben und die Rettung leiten anstatt sie zu kommentieren. Auftragstaktik (Tür raus!) ist hier wesentlich wirksamer wir Befehlstaktik (ähm, ja setzt mal da, neee – da dann macht da einen Spalt und dann äääh gucken wir mal…). Dazu braucht man aber:
Diejenigen, die die Geräte bedienen, dies auch können. Bei modernen PKW gehen wir oft an die Leitungsgrenzen der Geräte und genau in diesem Bereich müssen die Geräteführer mit den Reaktionen und Möglichkeiten des Materials vertraut sein.
Man durchaus an den zwei Problemen: Beheben der physischen Einklemmung („Entklemmung“) und der Schaffung eines körperachsengerechten Rettungsweges gleichzeitig arbeiten kann – wenn man denn ausreichend Geräte hat (selten ein Problem) und es koordinieren kann (oft ein Problem).
Was man dann noch verbessern kann
Wenn man tatsächlich die oben genannten Punkte bei sich nachhaltig umgesetzt hat, dann kann man sich ernsthaft Gedanken machen, die technische Ausstattung noch weiter zu perfektionieren oder sich mit neuen revolutionären Rettungstechniken zu beschäftigen. Macht man es andersrum, wird man teurer bzw. unsicherer, aber nicht besser. Das soll hier zwar keine Werbung für die Extrication Challenges sein, aber jedes Team, was an so einem Ereignis teilgenommen hat, weist einen deutlichen Vorsprung an Erkenntnissen, Können, Wissen und Teamwork gegenüber den “Nichtteilnehmern” auf.
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